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Edition 03 - April 2021
Ultimatum (lateinisch ultimus ‚der letzte‘, ‚der äußerste‘, ‚der entfernteste‘)
Laut Duden eine auf diplomatischem Wege erfolgende Aufforderung, eine schwebende Angelegenheit befriedigend zu lösen unter Androhung harter Gegenmaßnahmen, falls der andere nicht Folge leistet.


Nachdem die Produzentenallianz in den aktuellen Tarifverhandlungen keinerlei Angebote vorlegte, wurde ihr ein Ultimatum gesetzt, das besagt, man müsse bis zum 31. März zu einer Einigung kommen.
„Die Produzentenallianz lehnt jede Art von Verbesserung strikt ab. Bis zum 31. März 2021 will ver.di ein Ergebnis der Tarifrunde sehen. Sonst droht ein Scheitern dieser Tarifrunde, in der noch keine Kompromisse erkennbar sind.“ (Auszug ver.di Pressemitteilung vom 18.Januar 2021)

Im Jahr 2005 gab es bereits eine ähnliche Situation, ausgelöst durch die anhaltende Ablehnung des von ver.di geforderten Zeitkontomodells seitens der Produzenten aufgrund befürchteter Mehrkosten. Was folgte, war das offizielle Scheitern der Verhandlungen seitens ver.di und eine Phase, in der es keinen gültigen TV FFS gab. Dazu sprechen wir in der heutigen Ausgabe mit zwei Filmschaffenden, die diese Zeit erlebt haben. Auch führen wir unsere Gegenüberstellung „Mit und ohne TV FFS“ fort und erläutern die feinen Unterschiede zwischen Arbeitszeitgesetz und Tarifvertrag.

Aktuell hat die Produzentenallianz kurz vor Ablauf des Ultimatums doch noch Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Nicht zuletzt die Androhung einer tarifvertragslosen Zeit wie in 2005, deren Auswirkungen wir Euch in der letzten Ausgabe näher erläutert hatten, dürfte den Ausschlag gegeben haben. Reagiert wurde prompt. Eine Einigung bis Ende März fand nicht statt, die Frist ist abgelaufen, dafür wurde das Ultimatum bis Ende April verlängert.

Vielfalt im Film, Gender, Geschlechterneutralität - Christian Penn erörtert in seinem Gastbeitrag einen vielfach vergessenen Aspekt in dieser aktuellen Diskussion.
Diskurs:
Identitätspolitik
Kein Podium für Mehrheiten

Im Gespräch:
Gemeinsam blicken wir mit Filmschaffenden auf die tarifvertragslose Zeit in 2005 zurück.

Unter der Lupe:
Fortsetzung - das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und der Tarifvertrag (TV FFS) im direkten Vergleich



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Set Life Diskurs

Identitätspolitik
Kein Podium für Mehrheiten

Vielfalt im Film, Gender, Geschlechterneutralität, etc., ein Thema, was in den Fachmedien gerade viel behandelt wird. Es ist gut, sich auch in dieser Branche der Identitätspolitik zu widmen. Schade nur, dass im Kampf für Minderheitenrechte die eigentliche Gleichberechtigung völlig an Bedeutung verliert. Denn wenn schon über Diversität gesprochen wird, dann vermisse ich in dieser Debatte Mehrheiten wie Eltern, Frauen, Arme und Alte.

Es ist ein Fakt, dass sich Privatleben und Film kaum vereinen lassen. Man ist immer derjenige, der keine klare Zusage machen kann, der nicht weiß, ob er zur Hochzeit oder zu Beerdigung anwesend sein wird, der noch nicht einmal sagen kann, wann er abends nach Hause kommt und das halbe Wochenende verpennt, weil er freitags Nachtdreh hatte.
Mütter werden für meine Begriffe am Set am meisten diskriminiert. Nicht wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer sexuellen Orientierung, vielmehr wegen der Fähigkeit, Kinder zur Welt zu bringen.
Das fängt bereits in der Schwangerschaft an, in der die werdende Mutter schon durch den Tarifvertrag vom Arbeitsmarkt praktisch abgesetzt wird. Die meisten Frauen, die wir an einem Drehort antreffen, sind kinderlos. Viele sind einfach noch sehr jung, andere haben nie welche bekommen und wenige von ihnen haben erwachsene Kinder. Die klassische Mutter, die Kinder im Kindergarten- oder Grundschulalter hat, ist so selten wie eine wilde Wassermelone im Bayerischen Wald. Wenn wir sie doch mal antreffen, dann meist in einer Filmpärchen-Konstellation, wo abwechselnd gearbeitet wird. Free Life
Da ist die Arbeitszeit aber oft ungleichmäßig verteilt, weil der Mann in der Regel mehr verdient als die Frau. Wer jetzt argumentiert, dass Frauen in gleicher Position zumeist auch gleich bezahlt werden, dem stimme ich im Großen und Ganzen zu. Aber ist es nicht sonderbar, dass selbst die Gagentabelle uns eindrucksvoll vor Augen führt, dass typische Frauenberufe schlichtweg weniger wert sind als die typischen Männerberufe? Zugegeben, es geht hier oft nur um ein paar Euro, aber spiegelt das nicht brillant die herrschende Männerpolitik unserer Branche wider?

Zum Beispiel verdient ein Oberbeleuchter nach Gagentabelle 1657€ und der Ton 1643€. Kostümbild hingegen verdient 1611€, das heißt symbolische 46€ weniger als der Oberbeleuchter.
Geht man jetzt aber davon aus, dass die kreative Arbeit einer Kostümbildnerin ähnlich anzusiedeln ist wie die des Kameramannes, dann wird der Unterschied doch noch mal sehr deutlich, dieser verdient nämlich 3066€.
Nun ist der Kameramann aber mit Abstand der Bestverdiener in der Gagentabelle (die typisch männliche Position Regie, die sicherlich auch nicht schlecht verdient, wird in der Tabelle nicht aufgeführt). Zweitbester unter den Topverdienern ist die Herstellungsleitung mit 2558€, gefolgt von der Produktionsleitung mit 1918€ und dem Szenenbild mit 1821€. Alles Positionen, die zwar nicht ausschließlich, aber doch überwiegend von Männern ausgeführt werden.
Als typischer Frauenberuf wäre Maskenbild aufzuzählen, diese verdienen mit 1397€ deutlich weniger als ihr männliches Pendant 1. Kamerabühne mit 1551€. Die 2. Aufnahmeleitung (worunter auch die Set-Aufnahmeleitung fallen dürfte) verdient lediglich 1075€, der Beleuchter verzeichnet 1237€. Die Set Requisite bekommt 1207€, die sogenannte Teamassistenz, die eigentlich als Produktionsassistenz zu betiteln ist, bekommt nur 1049€ und damit 26€ weniger als ein Material-Assistent in der Kameraabteilung mit 1075€. Eine Set-AL-Assistenz ist gerade mal 858€ wert und steht damit gleich auf mit der Lichthilfe, während die Kamerabühnenassistenz 979€ und der Ton-Assistent 1207€ wiegt. Die Kostümbildassistenz bekommt 1169€, die Kostümberatung 1397€. Ein 1. Kamera-Assistent bekommt hingegen 1457€, etwas weniger als der 1.Aufnahmeleiter mit 1468€. Trauriges Schlusslicht sind die Produktionsfahrer, deren Arbeit mit 811€ unvergleichbar am wenigsten geschätzt wird.

Diese Gegenüberstellung mag an sich nicht viel bedeuten, denn sie kann auf vielerlei Arten ausgelegt werden. Am schwersten jedoch wiegt, dass es für viele, vielleicht sogar die meisten Berufe am Set, keine Ausbildung gibt. In dieser Hinsicht ist auch wieder auffällig interessant, dass es ausgerechnet die Frauenberufe Kostüm und Maske sind, bei denen eine Berufsausbildung praktisch unausweichlich ist, während man dem Lichtassistenten, der mit Starkstrom arbeitet, durchaus zutraut, den Beruf in der Praxis erlernen zu können.

Nun wird sich dieses Problem nicht auf die Schnelle lösen lassen. Es bedarf eines differenzierten Bildungs- und Weiterbildungssystems, was auf die Gegebenheiten bei Film- und Fernsehproduktionen abgestimmt ist und auch die persönliche Erweiterung des Arbeitsmarktes ermöglicht.
Jede Produktion sollte dazu verpflichtet werden, mindestens einen Lehrling auszubilden. Und das müsste ein echter Lehrling sein, der vormittags die Praxis im Betrieb erlernt und am Nachmittag in die Berufsschule geht und nicht als billige Arbeitskraft verheizt wird.
Free Life Zudem muss ein System für all jene geschaffen werden, die eine pflegebedürftige Person betreuen müssen, völlig egal, ob es sich dabei um die eigenen Kinder oder die Eltern handelt. Gerade in der momentanen Krise, wo insbesondere die Schulen und Kindergärten alle naselang öffnen und wieder schließen, ist es für Filmschaffende praktisch unmöglich, einen geregelten Arbeitsalltag zu haben. Es müssen Grundvoraussetzungen geschaffen werden, die es auch Eltern beim Film ermöglichen, beispielsweise das Kinderkrankengeld in Anspruch zu nehmen. Es kann doch nicht sein, dass aufgrund von befristeten Arbeitszeiträumen grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass die ganze Familie in diesem Zeitraum gesund zu sein hat und dass sich im Zweifel halt die Mutter darum kümmern muss.
Würden wir also so fortschrittlich sein und ein von vielen Kollegen schon oft genanntes Teilzeit-Modell einführen, dann könnten wir den Fachkräftemangel effektiv in den Griff bekommen. Nicht nur Eltern, und ja, vor allem Mütter, hätten die Chance ihren Beruf weiter auszuüben, auch alteingesessene Filmschaffende, die einfach keine Lust mehr haben, sich beim Arbeiten kaputtzumachen, hätten eine Alternative.

Vielleicht fragt sich nun mancher, warum mich das Thema so mitnimmt, wo ich doch einer dieser privilegierten Männer bin. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Seit acht Jahren muss ich meiner Frau bei ihrem erbitterten Kampf um die Erhaltung ihres Berufes zusehen. Seit acht Jahren versucht sie unermüdlich, die Kinder und ihre Tätigkeit als Set Requisite zu vereinen. Erst sah es auch ganz gut aus mit „dem Abwechseln“, auch wenn sie von den großen Kino- zu den kleinen lokalen Produktionen wechseln musste, was sich natürlich auch finanziell bemerkbar machte. Ich mit meinen großen Filmen hingegen konnte Position, Ansehen und Gehalt immer weiter um ein Stückchen verbessern. Aus einem halben Jahr Drehzeit, die mir eigentlich zustand, wurden erst sieben, dann acht Monate. Als der Besserverdienende war das ein notwendiger Schritt für die finanzielle Sicherheit der Familie. Sie hingegen opferte Stück für Stück mit jedem Jahr ein bisschen mehr, bis zuletzt einfach nichts mehr übrig blieb und keiner mehr anrief, der sie haben wollte. Tapfer und stark, wie nur Frauen es sein können, hat sie nun die Konsequenz daraus gezogen und beginnt, gebrochen und mit verletzter Würde, eine Umschulung in dem einzigen Bereich, in dem sie sich nebenbei fortbilden konnte: der Kinderpflege. Von Christian Penn
Guerillas im Nebel Im Gespräch

Drei Monate ohne Tarifvertrag
Ein Rückblick ins Jahr 2005

Am 31.Januar 2005 wurden die Verhandlungen zwischen ver.di und der Produzentenallianz um einen neuen Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende (TV FFS) offiziell für gescheitert erklärt. Es war nicht gelungen, die Produzenten zur Zustimmung zu einem Zeitkontomodell zu bewegen, da diese die befürchteten Mehrkosten (3,5% Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung) ablehnten. Was folgte, war eine Phase, in der es keinen gültigen TV FFS gab, die zwar nur kurz währte, aber sich nachhaltig auswirkte – am Ende lenkte die Produzentenallianz ein und erstmals konnten Regelungen zu einem Arbeitszeitkonto im Sinne der Arbeitnehmerseite getroffen werden. Die beiden langjährigen Filmschaffenden Susanne und Markus schildern uns, wie sie diese Zeit damals erlebt haben.*

Wie hast Du die damaligen Tarifverhandlungen zwischen ver.di und der Produzentenallianz verfolgt?
M: Alles, was ich mitbekommen habe, waren die Infos über meinen Berufsverband. Mit ver.di hatte ich nichts am Hut, das hat mich nicht interessiert.
S: Im Januar 2005, als die Tarifverhandlungen liefen und dann auch scheiterten, war ich schon eine Weile ver.di-Mitglied und bekam insofern über die Gewerkschaft und die Presse Infos zu den laufenden Verhandlungen und dann auch zu deren Scheitern. Da ich gerade zwischen zwei Projekten war, hatte ich Gelegenheit, den Fortgang der Gespräche bzw. die Mitteilungen/Presse zu verfolgen und mich mit Kolleg*Innen darüber auszutauschen. Ich selbst war für eine akute Verhandlungssituation nicht direkt betroffen, aber man spricht ja mit anderen Teammitgliedern und ist auch trotzdem von den Auswirkungen des TV FFS bzw. den Diskussionen dazu mittelbar betroffen.

Auf welchem Weg hast Du erfahren, dass der TV FFS nicht mehr gilt? Wie wurde das allgemein aufgenommen? War das überhaupt vielen Filmschaffenden bekannt?
M: Ich kann nur von mir sprechen, meine Infos kamen über den Berufsverband. Ich glaube nicht, dass das vielen Filmschaffenden klar war.
S: Erfahren hab ich das von ver.di direkt per Mitgliederinfo und Pressemitteilung, aber auch von Kolleg*Innen aus Produktion, anderen Gewerken und den Berufsverbänden. Ich hatte den Eindruck, dass das unter den Filmschaffenden am Set erst mal nicht so wirklich „angekommen“ ist; erst nach und nach hat sich herumgesprochen, dass es eine tarifvertragslose Zeit gibt und was das bedeutet. Aber bis zum Ende dieser Zeit von etwa 3 Monaten war das dann schon vielen Leuten klar.
Wie hast Du Dich darüber informiert, was es konkret bedeutet, wenn der TV FFS nicht mehr gilt? Wie war der Austausch mit Deinen Kolleg*Innen dazu?
S: Ich habe mich informiert, indem ich den „alten“ Tarifvertrag noch genauer als bis dahin studiert und dann angefangen habe, mich etwas näher mit Arbeitsrecht und gültigem Arbeitszeitgesetz zu befassen. Zu dieser Zeit lief das noch mehr über Bücher und Gespräche mit rechtskundigen Bekannten und nur zum Teil übers Internet. Mit Kolleg*Innen fand der Austausch meiner Erinnerung nach eher nur in Einzelfällen ausführlicher statt, meist blieben die Gespräche allgemeiner und wenig detailliert. Wahrscheinlich weil einfach nicht soviele Kolleg*Innen von Anfang an umfassend informiert waren.
„...seit dem 1. Februar 2005 ist der Tarifvertrag für die Film- und Fernsehschaffenden (FFS) unwirksam. Es gelten jetzt die gesetzlichen Regelungen in allen Vertragsfragen zwischen Produktion und Filmschaffenden. Insbesondere hat das Bedeutung für die Anwendung des Arbeitszeitgesetzes. Danach dürfen täglich nicht mehr als acht Stunden gearbeitet werden. In Ausnahmefällen maximal bis zu zehn Stunden, wenn ein entsprechender Zeitausgleich innerhalb der Vertragszeit gewährt wird.“

Auszug aus der damaligen ver.di Pressemitteilung vom 16.Februar 2005
Wie wirkte sich das auf Deine Vertragsverhandlungen aus?
M: Super. Ich habe 2005 gerade 3 Folgen einer Serie gedreht. Und da ich vorher schon häufig z.B. für Werbung und Imagefilme auf Rechnung gearbeitet habe, fragte ich bei der Produktionsfirma an, ob es auch hier möglich wäre. Und siehe da, die Produktion hat mir einen Werksvertrag angeboten. Das war überhaupt kein Problem. Obwohl viele Kollegen gesagt haben: Das machen die nie!!
S: Für mich persönlich gar nicht - weil ich in dieser Zeit keine Neuverhandlung hatte.
Von Kolleg*Innen meines und anderer Gewerke habe ich aber sehr wohl eigenartige Dinge von den damaligen Vertragsgesprächen gehört, von einem Bezug auf den nicht mehr gültigen TV FFS über den Ansatz einzelvertraglicher Regelung von Mehrarbeit bis hin zu komplett pauschalen Verträgen ohne Bezug auf den TV FFS.


Wie waren die Arbeitsbedingungen am Set?
M: Hervorragend. Wir hatten keine Überstunden mehr. Nach 8 Stunden war Feierabend. Der Set AL war total im Stress, das Arbeitszeitgesetz einzuhalten. Ich weiß es leider nicht mehr ganz genau, aber ich glaube wir haben pro Folge 2 Tage länger gedreht.
S: Aus meiner Erinnerung würde ich sagen: sehr unterschiedlich. Manche Produktionen hatten großen Respekt, um nicht zu sagen Angst vor den Konsequenzen, die ein „weiter wie immer“ ohne gültigen TV FFS faktisch bedeuten können. Andere haben sich eher weggeduckt und getan, als ob nichts wäre, nach dem Motto „es wissen ja eh nicht viele, wie die Situation gerade ist“.
„Durch ihr kategorisches ,Nein‘ zur Kostenbeteiligung für ein Arbeitszeit-Kontenmodell provozierten die Produzenten nach elf Monaten das Scheitern der Mantel- und Gagentarifverhandlungen für Film- und Fernsehschaffende. Es gelten jetzt die gesetzliche Regelungen; unter anderem der 8-Stunden-Tag.“

Auszug aus der damaligen ver.di Pressemitteilung vom 16.Februar 2005
Wie war die Stimmung unter den Filmschaffenden? Und wie war die Stimmung auf Produktionsseite?
M: Die von der Produktion waren sehr im Stress. Nicht nur wegen der Überstunden, sondern auch wegen der 11 Stunden Ruhezeit oder der Freitag Nacht. Es wurde genau darauf geachtet, daß um Mitternacht Feierabend war.
S: Ich habe das so empfunden, dass sich mit jeder weiteren Woche die Infos auf beiden Seiten mehr herumgesprochen und manifestiert haben, und es wurde dann immer mehr zum Thema.
Nicht nur DASS es diesen tarifvertragslosen Zustand gab, sondern auch WARUM - nämlich weil die Arbeitgeberseite das Arbeitszeitkonto auf jeden Fall verhindern wollte. Aber damals begann parallel dazu die wachsende Unzufriedenheit mit den überlangen Arbeitszeiten, noch dazu ohne die entsprechende

Gegenleistung für alle (!) Gewerke und auch in Hinsicht auf Sozialversicherung/Arbeitslosenversicherung, zumindest war das meine Wahrnehmung...
Die Produzentenseite wurde sicher mit fortschreitender Zeit ohne TV FFS nervöser, da sind auch 12 Wochen lang und viel Zeit. Ich hatte das Gefühl, dass dann alle froh waren, als es Ende Mai/Anfang Juni die Einigung auf einen Tarifvertrag und vor allem die Einführung des Arbeitszeitkontos gab - auch wenn der Preis in Form der faktisch gar nicht existierenden „Bereitschaftszeit“ sehr hoch war und bis heute dazu führt, daß die sehr langen Arbeitszeiten überhaupt per TV FFS ermöglicht werden können.


Gab es denn seitens der ver.di Bestrebungen oder Aufrufe zum Streik, da die Tarifverhandlungen gescheitert waren?
M: Davon habe ich nichts mitbekommen. Die ver.di gab es nicht am Set.
S: Nicht, dass ich wüsste oder dass ich mich erinnern könnte.

Wie lange dauerte die Phase der tarifvertragslosen Zeit an und wodurch wurde sie beendet?
M: Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich drehte 3 Folgen. Also muss es mindestens 1 ½ Monate gedauert haben. Eher länger.
S: Ziemlich genau drei Monate - und sie wurde durch die Wiederaufnahme von Verhandlungen und dem Abschluss eines neuen TV FFS, der schließlich das Arbeitszeitkonto eingeführt hat, Ende Mai 2005 beendet.

Was ist Dein persönliches Fazit?
M: Die tariflose Zeit war super, denn es galt endlich das deutsche Arbeitszeitgesetz.
S: Rückblickend würde ich sagen, daß diese tarifvertragslose Zeit sehr wichtig und gut war! Einerseits um zu verstehen, daß dieser „selbstverständliche“ Zustand der Arbeitsrealität in der Filmbranche eben doch nicht ganz so selbstverständlich ist – und zwar sowohl für die Sicht der Produzenten als auch für die der Filmschaffenden. Andererseits war das meiner Meinung nach die einzige Chance, die Karten neu zu mischen und Themen weiterzubringen und ins Bewusstsein zu rücken, die sonst nicht angefasst worden wären – wie zum Beispiel das Arbeitszeitkonto.
Die Gespräche führte Constanze Seidl * Namen von der Reaktion geändert
Set Life Unter der Lupe

Tarifvertragslose Zeit
Gute Seiten, Schlechte Seiten

Aufgrund der anhaltenden Weigerung der Produzentenallianz, in den aktuellen Tarifverhandlungen auf die Forderungen der Gewerkschaft ver.di einzugehen, drohte diese zuletzt per Ultimatum zum 31. März mit dem Scheitern der Tarifrunde.

Nachdem sich auf Seiten der Produzentenallianz zuletzt offenbar ein wenig Bewegung abgezeichnet hatte, hat man sich nun einen weiteren Monat Zeit für Verhandlungen eingeräumt (Mitteilung der ver.di vom 01.04.2021).

Steht für den Fall, dass sich ver.di bis zum 30. April 2021 nicht mit einem befriedigenden Ergebnis durchsetzen kann, also weiterhin ein Scheitern der Verhandlungen im Raum?
Wir gehen davon aus, schließlich wäre es nicht konsequent im Sinne der Filmschaffenden, die ursprünglichen Forderungen fallenzulassen.


In der letzten Ausgabe dieses Newsletters hatten wir erörtert, von wie entscheidender Bedeutung die bisher durch den TV FFS ermöglichten Erweiterungen und Flexibilisierungen der Arbeitszeiten für die Produzentenseite sind, und wie unangemessen wenig die Filmschaffenden von den "Kompensationen" haben, die ihnen der bisherige TV FFS dafür gewährt.
Diesmal wagen wir uns bzgl. weiterer Themen an eine entsprechende Gegenüberstellung.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass nicht alle Themen in gleichem Maße zu gewichten sind, da sie sich in der Praxis sehr unterschiedlich relevant auswirken.
So sind etwa die beim letzten Mal erörterten Arbeitszeiten für beinahe jeden Filmschaffenden fast täglich von Bedeutung, erst recht, wenn noch Fahrzeiten dazukommen. Demgegenüber macht beispielsweise die durch den TV FFS arbeitnehmerfreundlich gestaltete Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder Unfall naturgemäß nur in seltenen Ausnahmefällen überhaupt einen Unterschied. Nämlich nur dann, wenn Jemand während der ersten vier Wochen seines Beschäftigungsverhältnisses erkrankt oder einen Unfall erleidet.

Die folgenden Tabellen veranschaulichen, was sich aus den gesetzlichen Regelungen ergibt, sofern diese nicht durch einen Tarifvertrag wie den TV FFS erweitert bzw. "flexibilisiert" werden. In der rechten Spalte haben wir versucht, eine aus unserer Sicht den Gegebenheiten im Filmgeschäft angemessene Gewichtung der einzelnen Themen zu illustrieren. Es handelt sich dabei nicht um eine Bewertung.

Selbstverständlich können nicht nur in Ergänzung zu einem gültigen Tarifvertrag, sondern auch in Situationen, in denen kein Tarifvertrag gilt oder aus anderen Gründen keine tariflichen Regelungen zur Anwendung kommen, Regelungen z.B. zur oben erwähnten Entgeltfortzahlung oder zum Urlaubsanspruch einzelvertraglich vereinbart werden.
Der derzeitige Fachkräftemangel in vielen Departements bietet dafür eine gute Gelegenheit, Mitglieder der BG Freie erhalten dazu auf Wunsch entsprechende Beratung.

Genug der langen Rede, die folgenden Tabellen geben übersichtlich Aufschluss über einige wichtige Unterschiede:
Vorgesehene Arbeitszeiten (im letzten Newsletter bereits besprochen)
Mit aktuellem TV FFS Ohne Tarifvertrag Gewichtung
• Wochenstunden: bis zu 60
   Darüber hinausgehende Ausnahmen möglich
• Tagesstunden: bis zu 12, max. 13
   Darüber hinausgehende Ausnahmen möglich
• Wochenstunden : max. 48 im Durchschnitt, bezogen auf die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses
• Tagesstunden: regelmäßig 8, max. 10
   keine Ausnahmen möglich
◼◼◼◼◼
Kompensation durch Zuschläge,
ggf. über das AZK,
teilweise nur Zeitausgleich (s.u. Verrechnung)
Tarifliche Zuschläge:
• wöchentlich:
   51-60. Stunde: 25%, ab 61. Stunde: 50%
   Verrechnung von Tagen >10h mit Tagen <10h
• täglich:
   13. Stunde: 60%, darüber hinaus 100%
   keine Verrechnung, keine weitere
   Berücksichtigung bei wöchentlicher Mehrarbeit
Kompensation durch Zeitausgleich innerhalb der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses, das sich ggf. verlängern würde.
Sonn-/Feiertagsarbeit
Mit aktuellem TV FFS Ohne Tarifvertrag Gewichtung
• Sonntag 50% Zuschlag 1)
   zzgl. bezahlter Ersatzruhetag
1) nur wenn 6. oder 7. Tag einer Arbeitswoche

• Feiertag 100% Zuschlag 2)

   zzgl. bezahlter Ersatzruhetag 2)
2) entfällt beides in zahlreichen Ausnahmefällen
Anspruch auf einen Ersatzruhetag innerhalb von zwei Wochen*
bei Wochengage ohne gesonderte Bezahlung
   *in jedem Fall innerhalb der Dauer des
   Beschäftigungsverhältnisses

vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 ArbZG
◼◼◼◼
Ruhezeiten
Mit aktuellem TV FFS Ohne Tarifvertrag Gewichtung
Regelmäßig 11 Stunden

12 Stunden bei Tagesarbeitszeit > 13 Stunden
2 zusammenhängende Ruhetage pro Monat
Regelmäßig 11 Stunden
Und: Bei Einsatzwechseltätigkeit zählt die An- und Abreisezeit zur Arbeitszeit und damit nicht zur Ruhezeit
◼◼◼◼
Nachtarbeit
Mit aktuellem TV FFS Ohne Tarifvertrag Gewichtung
Nachtzeit: 22:00 – 06:00 Uhr
wirksam ab der 1. Arbeitsstunde zur Nachtzeit
Nachtzeit: 23:00 – 06:00 Uhr
wirksam ab 2 Std. Arbeit zur Nachtzeit
◼◼◼
Wegzeiten
Mit aktuellem TV FFS Ohne Tarifvertrag Gewichtung
Arbeitszeit beginnt erst 20 km außerhalb des Wohnorts Bei wechselndem Einsatzort ist Wegezeit wie Arbeitszeit zu behandeln und zu vergüten ◼◼◼
Pausen
Mit aktuellem TV FFS Ohne Tarifvertrag Gewichtung
45 Minuten zw. 4. und 5. Arbeitsstunde ("soll"),
kann aus produktionstechnischen Gründen verlegt werden.
Bei Arbeitszeiten > 12 Std. weitere Pause von 30 Minuten
Insges. 45 Minuten bei Arbeitszeiten > 9 Std.
Insges. 30 Minuten bei Arbeitszeiten > 6 Std.
Spätestens nach der 6. Arbeitsstunde
Kann in Abschnitte à 15 Minuten aufgeteilt werden
Muss im Voraus feststehen und kann nicht kurzfristig verschoben werden.
◼◼◼◼
Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder Unfall
Mit aktuellem TV FFS Ohne Tarifvertrag Gewichtung
ab dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses
Urlaub
Mit aktuellem TV FFS Ohne Tarifvertrag Gewichtung
Anspruch 0,5 Werktage je 7 zusammen-
hängende Tage der Vertragszeit
(TZ 14.1 TV FFS)
Kann aufgrund von Anschlussbeschäftigung abgegolten werden (TZ 14.4 TV FFS)
Anspruch mindestens 24 Werktage jährlich
(§ 3 BUrlG)
Teilurlaubsanspruch während Wartezeit nur für volle Monate des Bestehens des Arbeitsvertrages (§ 5 Abs. 1a BUrlG)
◼◼◼




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